Katrin:

Die philosophische Anthropologie widmet sich – im Gegensatz zu ihrem naturwissenschaftlichen Pendant – dem Mensch als Subjekt. Sie hat demnach das Individuum weniger als biologisches Wesen im Fokus, sondern stellt vielmehr Fragen nach den qualitativen Eigenschaften des Menschen: Personalität, Entscheidungsfreiheit und der Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Bedeutend scheint dabei die Verbindung von bzw. das Spannungsfeld zwischen der Innenperspektive des Subjekts und der Außenperspektive des Beobachters. Es bedarf keiner intensiven Auseinandersetzung mit der fotografischen Arbeit Katrin Weissenbachers, um eben diesen philosophischen Zugang als Handlungsgrundlage ihrer lichtbildnerischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft zu identifizieren.

Geboren 1990 und aufgewachsen im Aflenzer Becken, absolvierte sie nach ihrer schulischen Ausbildung die Schule für Gesundheits- und Krankenpflege am LKH Graz. Ihre berufliche Erfahrung sammelte sie fortan im Gesundheitsbereich, unter anderem im AKH Wien und zuletzt in der Schulthess Klinik in Zürich. Nach eigenen Angaben manifestierte sich in ihrer Wiener Zeit das Interesse am Menschen, was nicht weiter verwundern mag, da gerade eine Tätigkeit im –kräfteraubenden – Pflegebereich spezielle Sichtweisen auf das Individuum und seine Verhaltensweisen zulässt. Doch die Reduktion des Fokus auf den Einzelnen per se wäre zu kurz gegriffen, vielmehr geht es der Fotografin um dessen Stellung in der Gesellschaft, seine Interaktion mit anderen Menschen und den darin begründeten Ursprung seines Handelns.

Ihr fotografisches Können vertiefte Weissenbacher in der LIK Akademie für Fotografie und Design, um – wie sie es selbst beschreibt – „den Menschen, die Gesellschaft und die Graustufen dazwischen“ darzustellen. Doch zu groß ist die Vielschichtigkeit dieser Momentaufnahmen, als dass die Fotografin eine Deutungshoheit darüber für sich reklamieren und die Interpretation des Dargestellten determinieren könnte. In Abwandlung eines der hermeneutischen Grundsätze möchte man in Hinblick auf Weissenbachers Zugang zur Fotografie konstatieren: „Der Betrachter, nicht der Fotograf bestimmt die Bedeutung des Bildes.“

 

Martin:

Auch die fotografischen Arbeiten von Martin Wirbel haben die Beziehung von Mensch und Gesellschaft zum Inhalt, wenngleich das Interesse am Subjekt und die Sichtweise darauf etwas anders gelagert sind. Der Blick auf das soziotechnische System scheint strenger und das sichtbare Ergebnis legt das Beziehungsgeflecht, in dem das Individuum gefangen ist, auf durchaus schonungslose Art frei. Gleichzeitig ist das stetige Streben nach größtmöglicher Ästhetik greifbar – das scheinbar Unvereinbare geht in Wirbels Fotografien eine Symbiose ein.

Geboren 1972 in Bruck an der Mur und aufgewachsen in Aflenz, besuchte Martin Wirbel die HTBL für Elektrotechnik in der obersteirischen Industriestadt Kapfenberg. Das Interesse an der Technik war fortan ein fester Bestandteil seines Lebens, von seinem ersten richtig verdienten Lohn erwarb er im Alter von 18 Jahren seine erste Spiegelreflexkamera. Scheinbar als bewussten (oder unbewussten?) Gegenpol zu seiner technischen Ausbildung studierte er ab 1994 Kulturanthropologie in Graz und fand alsbald in Elisabeth Katschnig-Fasch eine Mentorin, die ihn vor allem mit sozio-kulturellen Fragestellungen zu Mensch und Gesellschaft konfrontierte. Neben den vorrangigen Themenfeldern Sport und Jugendkultur ließ Wirbel die Technik nie ganz los, was sich in seinem (nicht abgeschlossenen) Diplomarbeitsprojekt „Von der Mechanisierung zur Virtualisierung des Körpers.“ manifestiert.

Mit seinen fotografischen Arbeiten will er gesellschaftliche Bedingtheiten nicht bloß sichtbar machen, er hat durchaus Freude daran, zwischenmenschliche Aktion zu befeuern, neue, gleichsam ungeahnte Projektionsflächen zu schaffen und in einer Abfolge von nicht-relationalen Handlungen zu überaus spannenden Ergebnissen zu gelangen. Stets ästhetisch komponiert, thematisieren diese auf verschiedenen Ebenen stattfindenden reziproken Settings im Sinne Foucaults anhand der Sexualität die Wirkungsweise von Machtstrukturen. Der Zyklus „Narziss mit Goldmund“ etwa stellt eine Art der „Wahrheitsfindung“ im fotografischen Schaffen von Wirbel dar.

 

KAM:

Beiden gemein ist der Anspruch auf höchstmögliche technische Perfektion, die Ästhetik des Bildes und immer auch das Interesse am künstlerischen Aspekt. Wollte man ein Gegensatzpaar ausmachen, so könnte man es am ehesten mit Moment/Inszenierung benennen, wobei sich diese – vermeintliche – Trennlinie durch das fotografische Schaffen beider Protagonisten zieht.

Die thematischen Schnittmengen zwischen Katrin Weissenbacher und Martin Wirbel führten Anfang 2017 zur Gründung des Fotoprojekts KAM-Art.